Der Seelen Erwachen
Fünfzehntes Bild
Dasselbe Zimmer wie im vorigen Bild. (Es sitzt da wartend die Pflegerin des Doktor Strader. Nachdem der Vorhang aufgegangen ist, tritt der Sekretär in das Zimmer; später Benedictus; Ahriman.)
Die Pflegerin Doktor Straders hat einen an Benedictus gerichteten Brief in Händen, den dieser noch in den letzten Stunden vor seinem Tod verfasst hat. Während sie auf Benedictus wartet, kommt sie mit dem Sekretär ins Gespräch. Dieser ist überzeugt, dass Strader ein großer Mann war. Auch die Pflegerin, die ihm die letzten Erdendienste erweisen durfte, bewundert Straders hohe Seele. Die Mysten hätten ihm Weisheit geboten, doch bedurfte er der Liebe. Doch sei die Mystenweisheit auch die Quelle seines Schaffens gewesen, wendet der Sekretär ein. Vor allem aber habe sich Strader mit ganzer Liebe seinem Erdenwerk gewidmet.
Wie Menschen sich von Wesen trennen, die
Sie lieben, so verließ die Seele Straders
Das Erdenwerk, dem ihre Liebe galt.
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„Und Theodora stand wie lebend stets vor ihm -; so fühlen wahre Mystenseelen“, ergänzt der Sekretär. „Sie stand im Tode noch vor ihm.“, fügt die Pflegerin hinzu.
Dann betritt Benedictus das Zimmer und der Sekretär geht hinaus. Die Pflegerin übergibt den Brief Straders und berichtet von den letzten Augenblicken seines Lebens:
Erst lebte noch der letzte Lebensplan
In seinem Denken; dann war Theodora
Im Geist mit ihm vereint; erfühlend dies,
Entrang sich seine Seele sanft der Hülle.
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Dann verabschiedet sich die Pflegerin und Benedictus beginnt Straders letzten Brief zu lesen. Strader kommt darin wieder auf die Traumvision zu sprechen, von der er Benedictus schon im 11. Bild berichtet hatte.
Da schaut' ich wieder jenes Bild, von dem
Ich euch vor kurzem sprach. Doch anders war
Des Bildes Ende dann. Nicht Ahriman
Erstand als Kämpfer mir; ein Geistesbote
Erschien an seiner Stelle, dess' Gestalt
Sich als mein eignes irrtumvolles Denken
Mir deutlich fühlbar gab. Da mußt' ich mich
Erinnern jener Worte, die ihr spracht
Von Stärkung meiner Seelenkräftemacht.
Doch dann verschwand sogleich der Geistesbote. –
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Die wenigen Worte, die noch folgen, vermag Benedictus nicht zu lesen. Ein Chaos deckt sie ihm, Gedankenschleier wirksam webend, zu, während im Hintergrund Ahriman erscheint, den Benedictus zwar schaut, doch zunächst nicht erkennt. Ahriman gibt vor, Benedictus die letzten Worte Straders verkünden zu wollen: „zu deinem eignen Heil und auch für deiner Schüler Mystenweg.“ Doch Benedictus will ihn als guten Geist nur anerkennen, wenn er sich dem klaren Menschendenken offenbar. Da muss sich Ahriman rasch zurückziehen, denn sobald Benedictus Schauen ihn auch in seiner Wahrheit denken kann, entsteht in diesem Denken auch bald die Kraft, die Ahriman vernichten kann. Und während Ahriman verschwindet, erkennt ihn Benedictus in seiner wahren Gestalt und weist zugleich den Weg zu seiner Erlösung:
Er strebt das Menschendenken zu verwirren,
Weil er in ihm die Quellen seiner Leiden
Durch einen altvererbten Irrtum sucht.
Er weiß noch nicht, daß ihm Erlösung nur
In Zukunft werden kann, wenn er sein Wesen
Im Spiegel dieses Denkens wiederfindet.
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Straders sonnenreife Seele aber werde als Geistesstern Maria und Johannes selbst dann noch leuchten, wenn Ahriman ihre vollerwachte Geistesschau dämpfen und des Chaos Dunkelheit verbreiten will.