Philosophie, Theosophie und Anthroposophie
Goethes Farbenkreis
Goethes Farbenkreis

Die Mysteriendramen sind aus dem künstlerischen Impuls hervorgegangen, den  Rudolf Steiner mit dem 1907 veranstalteten Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft als ein ganz neues Element in die damals noch Theosophische Gesellschaft, aus der dann 1913 die Anthroposophische Gesellschaft herausgetreten ist, eingebracht hat. Bis dahin waren die theosophisch-anthroposophischen Lehren nur in begrifflich-gedanklicher Form gegeben worden und diese war bei den Theosophen vielfach entweder sehr schematisch und abstrakt, wie etwa in Alfred Percy Sinnetts „Geheimbuddhismus“ oder mangelte an voller, reiner Gedankenklarheit, was durchaus auch für die Schriften und Vorträge von H.P. Blavatsky und Annie Besant gilt. Abgesehen davon, dass beiden, Blavatsky und Besant, das tiefere Verständnis für den Christus-Impuls fehlt, kann man ihren Werken, namentlich denen der Blavatsky, bei aller Einseitigkeit eine gewisse geistige Tiefe nicht absprechen, die Rudolf Steiner auch jederzeit gewürdigt hat, aber die Darstellung ist selten so gedankenklar, dass sie den geistigen Anforderungen unseres Bewusstseinsseelenzeitalters voll genügen können.

Hier ist schon der neue Wind spürbar, der durch Rudolf Steiner in die theosophische Bewegung hineingekommen ist. Vorbereitet durch seine philosophischen und goetheanistischen Studien, wie er sie schon in seinen „Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften“, in den „Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“, in „Wahrheit und Wissenschaft“ und dann ganz besonders in seiner „Philosophie der Freiheit“ niedergelegt hat, konnte Steiner das intellektuelle Denken unseres Zeitalters auf jene bis dahin noch nicht erreichte Höhe heben, durch die sich auch das Geistige in vollkommen gedankenklaren Begriffen und Ideen denken lässt. Er hat damit bewiesen, dass unser Intellekt genauso befähigt ist, geistige Wahrheiten zu erfassen, wie er sonst heute nur die äußeren Naturwahrheiten begreift. Freilich geht das nur, wenn man unbefangen an die mitgeteilten geistigen Wahrheiten herantritt und sich nicht durch die gängigen Vorurteile unserer Zeit blenden lässt. Geisteswissenschaft im Sinne Steiners fordert keinen blinden Glauben, der wäre sogar schädlich, wohl aber den guten Willen, mit einer ursprünglichen und unverbildeten Denkkraft an die Mitteilungen aus der geistigen Welt heranzutreten. Und dazu ist viel guter Wille nötig, denn die Vorurteile sitzen tief, und Steiners Schriften sind nicht leicht zu studieren, wie jeder weiß, der sich einmal damit beschäftigt hat. Das ist aber durchaus gewollt und notwendig. Man kann sie nicht einfach lesen, sondern jeder einzelne Satz lädt gewissermaßen zu einem meditativen Verweilen ein und ein umfassenderes Verständnis wird man sich nur erwerben, wenn man sie viele, viele Male in dieser Art studiert hat. Der Weg der Geisteswissenschaft ist nicht dazu geeignet, geistige Bedürfnisse rasch und bequem zu erfüllen, sondern er ist langsam und mühevoll – aber dafür auch äußerst trittsicher. Man wird dabei nicht leicht in wertlose Phantastereien verfallen, denn unser Intellekt, unser waches Ich ist stets zum unparteiischen Richter über die mitgeteilten geistigen Inhalte aufgerufen.

Um geistige Wahrheiten erfassen zu können, muss allerdings das Denken lebendig beweglich gestaltet werden und Steiners Schriften und Vorträge sind im Grunde reine Gedankenkunstwerke. Sie sind nicht aus einem abstrakt ableitenden Denken, das tote Begriffe zu logischen Schlüssen kombiniert, sondern aus dem lebendigen geistigen Miterleben des Denkprozesses herausgewachsen. Dennoch folgen namentlich die Schriften Steiners einer streng systematischen logischen Ordnung, aber diese ist nicht der Ausgangspunkt, sondern das Endergebnis des lebendigen Gedankenbildungsprozesses. Die für unsere Zeit so nötige Wiedervereinigung von Wissenschaft, Kunst und Spiritualität ist darin schon in klaren Konturen angedeutet.