Individuelle Wege in die geistige Welt

Aus Mysteriendramen
< Märchenstimmung und Phantasie    Der künstlerische Entstehungsprozess der Mysteriendramen >

„Führen wir uns das Bild vor Augen, das den Sinn der inneren Menschenentwickelung in den kleinen Mysterien symbolisierte. In heiliger Weihestimmung waren die Menschen, die es sehen sollten, in der Weihnacht, in völliger Finsternis der Mitternacht versammelt. Da ertönte ein eigentümlich dumpfes, donnerndes Getöse, das sich allmählich in wundervolles rhythmisches Tönen, in harmonische Klänge verwandelte - die Sphärenmusik. Und ein schwach erhellter Körper, eine in der Finsternis matt leuchtende Kugel wurde sichtbar, welche die Erde symbolisieren sollte. Aus der schwach leuchtenden Erdscheibe erstanden allmählich ineinanderfließende, zu den Tönen gehörende regenbogenfarbige Ringe, die sich nach allen Seiten verbreiteten - die göttliche Iris.“ (Lit.:GA 97, S. 79f)

Der Zugang zur geistigen Welt kann nicht auf einem allgemein verbindlichen, für alle Menschen genau gleichen Weg gefunden werden. Zwar liegen allen Schulungswegen notwendig gemeinsame Prinzipien zugrunde, doch wirksam beschritten können sie nur werden, wenn dabei auch die spezifischen Voraussetzungen des jeweiligen Menschen oder der jeweiligen zusammengehörigen Menschengruppe berücksichtigt wird.

In alten vorchristlichen Zeiten, als die Menschen noch kollektiver und mehr durch den Gruppengeist ihres Volkes bestimmt waren, hatte im Grunde jedes Volk seinen eigenen Einweihungsweg und erfolgreich konnte er auch letztlich nur innerhalb dieser jeweiligen Menschengemeinschaft beschritten werden. Der Yoga Schulungsweg unterscheidet sich deutlich vom Achtgliedrigen Pfad des Buddha; die Persische Einweihung geht andere Wege als die Ägyptischen Mysterien und diese sind wieder verschieden von den Einweihungsritualen in den Mysterien von Ephesos, Eleusis oder Samothrake. Wieder einen ganz anderen Charakter hatten die Hybernischen Mysterien, deren Ursprünge weit in die prähistorische Zeit zurückreichen, sich aber später innig mit dem Christentum verbanden, nachdem man im inneren geistigen Schauen das Mysterium von Golgatha zeitgleich zu den Ereignissen in Palästina miterlebt hatte. In «Die Pforte der Einweihung» wird gezeigt, wie gerade Maria in einer frühmittelalterlichen Inkarnation als Christusbote aus den hybernischen Mysterien zu jenem Stamm gekommen war, wo Johannes damals in weiblicher Inkarnation lebte und wo noch die Götter Odin und Baldur verehrt wurden.

Für den heutigen, durch die abendländische Kultur geprägten Menschen sind alle diese altehrwürdigen Pfade kaum mehr gangbar. Selbst der Christliche Schulungsweg, wie er im Mittelalter bis hin in die frühe Neuzeit gepflegt wurde, kann heute nur noch von wenigen Menschen erfolgreich beschritten werden.

Der christliche Einweihungsweg unterscheidet sich von allen anderen Wegen dadurch, dass innerhalb dieses Weges der Mensch nicht durch eigene Anschauung zur Erkenntnis von Reinkarnation und Karma kommen kann und es war durchaus notwendig, dass der Mensch wenigstens einmal eine Inkarnation durchlebte, in der er keine Kenntnisse der früheren Erdenleben hatte - und das gilt auch für den christlichen Eingeweihten:

„Damit der Mensch sich dachte, die eine Inkarnation sei die einzige, dazu war notwendig, daß etwas das Gehirn von der Erkenntnis von den höheren Prinzipien im Menschen, von Atma, Buddhi, Manas und von der Erkenntnis der Reinkarnation abschnitt. Dazu wurde den Menschen der Wein gegeben. Früher war bei allem Tempelkultus nur das Wasser gebraucht worden. Dann wurde der Gebrauch des Weines eingeführt, und sogar ein göttliches Wesen, Bacchus, Dionysos, war der Repräsentant des Weines. Der tiefsteingeweihte Jünger, Johannes, enthüllt in seinem Evangelium, was der Wein für die innere Entwickelung bedeutet. Bei der Hochzeit von Kana in Galiläa wird das Wasser in Wein verwandelt. Durch den Wein wurde der Mensch so zubereitet, daß er die Reinkarnation nicht mehr verstand. Damals wurde das Opferwasser in Wein verwandelt, und wir sind jetzt wieder dabei, den Wein in Wasser zu verwandeln. Wer hinaufkommen will in die höheren Gebiete des Daseins, der muß sich jeden Tropfens Alkohol enthalten.“ (Lit.:GA 97, S. 22)

Die Tempelritter, die in den mittelalterlichen Szenen in «Die Prüfung der Seele» eine zentrale Rolle spielen, sind diesen Weg gegangen, allerdings in einer mehr unbewussten, unsystematischen Weise, indem sie sich mit ungeheurer Gemütstiefe in die Schilderungen des Mysteriums von Golgatha versenkt haben, wie sie namentlich im zweiten Teil des Johannes-Evangeliums gegeben werden. Und sie haben sich dabei offenbar dennoch gewisse Grundkenntnisse über die wiederholten Erdenleben des Menschen errungen - ein Zeichen dafür dass hier schon die Kräfte des kommenden, neuen Bewusstseinsseelenzeitalters hereinleuchten und die Zeit der mystischen Gefühlseinweihung abläuft.

„Worte sind ohnmächtig, das zu beschreiben, was in den Seelen solcher Menschen lebte, in jenen Seelen, die pflichtgemäß niemals wanken durften, und auch, wenn eine dreifach stärkere Macht äußerlich auf dem physischen Plane ihnen entgegenstand, nicht flüchten durften, sondern ruhig den Tod erwarten mußten, den Tod, den sie ertragen wollten, um zu befestigen im Erdendasein den Impuls, der von dem Mysterium von Golgatha ausgegangen ist. Das war intensives Leben des ganzen Menschen mit dem Mysterium von Golgatha. Und wenn sich solch intensives Leben in entsprechenden Rhythmen in den Menschenseelen so ereignet, daß es sich hineinstellt in das ganze kosmischirdische Strömen der Kräfte, dann entwickelt sich aus solchem Leben Bedeutendes, wohlgemerkt: Bedeutendes. Ich sage, wenn sich solches Bewußtsein hineinstellt mit einem gewissen Rhythmus innerlichmystisch in das, was äußerlich geschieht, dann kann man gewiß vieles erleben, das die eigene Seele mit dem Göttlich-Geistigen in Zusammenhang stellt. Aber noch anderes, Wirksameres wird dann entwickelt, wenn solches inneres Erleben, zusammengefaßt mit dem äußeren geschichtlichen Werdegang, nun in den Dienst dieses äußeren geschichtlichen Werdegangs gestellt ist. Was im Dienste der Wiedererringung der Macht über das Heilige Grab damals getan werden sollte, mit dem sollte in Übereinstimmung stehen das, was im Bewußtsein der Tempelritterseelen lebte. Dadurch entwickelte sich ein besonderes mystisches Leben, durch das diejenigen, die diesem sogenannten geistlichen Orden angehörten, immer mehr für die Welt wirken konnten als andere geistliche Orden. Denn wenn in solcher Weise eben im Zusammenhange mit dem Leben der Umwelt mystisch gelebt wird, dann strömt das, was mystisch erlebt wird, in die unsichtbaren, in die übersinnlichen Kräfte der Umwelt des Menschen hinein, wird objektiv, ist dann nicht bloß innerlich in der Seele des Menschen, sondern wirkt im geschichtlichen, im historischen Werden weiter. Durch solche Mystik wird nicht nur seelisch etwas erlebt für das einzelne menschliche Individuum, sondern es wird Seelisches; objektiv gestaltete Mächte, die vorher nicht da waren in der spirituellen Strömung, welche die Menschheit trägt und hält, die werden geboren, die sind dann da. Wenn der Mensch sein Tagewerk vollbringt mit seiner Hände oder mit seiner sonstigen Werkzeuge Arbeit, so stellt er etwas Äußerliches, Materielles in die Welt hinein. Mit solcher Mystik, wie die Tempelritter sie entfaltet haben, wird Geistiges in das Geisttum der Erde hineingestellt. Dadurch aber, daß dieses geschah, wurde die Menschheit wirklich eine Etappe weitergebracht in ihrer Entwickelung. Das Mysterium von Golgatha wurde durch dieses Erleben der Templer auf einer höheren Stufe als vorher verstanden und auch erlebt. Es war jetzt etwas da über dieses Mysterium von Golgatha, was vorher nicht dagewesen war. Die Seelen der Templer hatten aber dadurch noch etwas Besonderes erreicht.

Durch dieses intensive Sich-Hineinleben in das Mysterium von Golgatha hatten diese Seelen die Macht erlangt, die christliche Einweihung durch dieses historische Ereignis wirklich zu erreichen. Diese christliche Einweihung, man kann sie so erreichen, wie es in unseren Schriften geschildert ist; aber hier durch die Templer wurde diese christliche Einweihung so erreicht, daß die äußeren Taten und der Enthusiasmus, der in den äußeren Taten lebte, die Seelen der Templer heraustrug, so daß diese Seelen, abgesehen vom Leibe, außer dem Leibe, in dem geistigen Werdegang der Menschheit mitlebten, durchdrangen, seelisch-geistig durchdrangen die Geheimnisse von Golgatha. Da wurde vieles nicht nur für die einzelnen Seelen, sondern für die Menschheit erlebt. Das ist das Wichtige, das ist das Bedeutsame.“ (Lit.:GA 171, S. 196ff)

Die Templerritter mussten dabei aber auch all die Anfechtungen durch die Widersachermächte erleben, die jede geistige Entwicklung, egal welchen Weg man geht, notwendig begleiten und besteht auch immer die sehr reale Gefahr, den luziferischen und ahrimanischen Verführungen zu verfallen. Diese Erlebnisse sind dramatisch und es gehört Mut dazu, sich ihnen zu stellen. Die Mysteriendramen schildern immer wieder solche Erlebnisse und sie verlangen danach, auch entsprechend dramatisch dargestellt zu werden. Die für die geistige Schulung notwendige Besonnenheit muss diesen Erfahrungen immer wieder und auf jeder Entwicklungsstufe neu abgerungen werden.

„Aber sie hatten, weil das bei jedem so ist, der in die geistige Welt hineinschaut, sie hatten alle die Anfechtungen, alle die Versuchungen in der Tat kennengelernt, die da aufsteigen aus des Menschen Innerem, wenn sich der Mensch den guten göttlich-geistigen Kräften nähert. All die Feinde, die da wirken aus dem untergeordneten geistigen Reiche heraus und die den Menschen abbringen wollen vom Guten, die den Menschen verleiten wollen zum Bösen, die in den Trieben, in den Begierden, in den Leidenschaften, in den Affekten wirken können, die aber namentlich auch wirken können in Spott und Haß und Verachtung und Ironisierung des Guten, all die Mächte, die da aufgerufen werden konnten, die Templer hatten sie kennengelernt. Und sie hatten in vielen, vielen ihnen heiligen Stunden jene inneren Siege errungen, die der Mensch erringen kann, wenn er sehend hindurchgeht durch die Welten, die jenseits der Schwelle der sinnlichen Welt liegen und die überwunden werden müssen, damit der Mensch nach der Überwindung mit gestärkten Kräften in die ihm angemessenen geistigen Welten einziehen kann.“ (Lit.:GA 171, S. 199f)

Daher auch die von Rudolf Steiner genannte goldene Regel jeglicher Geistesschulung:

„Und diese goldene Regel ist: wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in der Erkenntnis geheimer Wahrheiten, so mache zugleich drei vorwärts in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten.“ (Lit.:GA 10, S. 65)

Diese Regel muss streng beachtet werden, denn jede geistige Schulung verstärkt notwendig alle Seelenkräfte, auch die negativen, die dadurch von vergleichsweise harmlosen Läßlichkeiten zu sehr bedenklichen Erscheinungen anwachsen können:

„Schon durch die geringe Entwickelung des astralischen Leibes, welche die theosophische Lehre als Elementarlehre bewirkt hat, als sie angefangen hat bekanntzuwerden, traten ganz merkwürdige Erscheinungen auf. Zum Beispiel ein Schüler, der Kassier war, ist mit dem Gelde durchgegangen; Leute, die früher friedfertig waren, wurden streitsüchtig. Das hängt damit zusammen, daß mit dem bißchen okkulter Entwickelung, das aus den theosophischen Begriffen fließt, die schlimmen Seiten des Charakters hervorgedrängt werden, wenn sonst nichts geschieht.“ (Lit.:GA 98, S. 31)

Das zu beachten, ist heute noch viel wichtiger als in alten Zeiten. Das Geheimnis des Bösen, das fünfte der sogenannten sieben Lebensgeheimnisse betrifft ganz besonders unser gegenwärtiges Bewusstseinsseelenzeitalter. Rudolf Steiner hat öfter darauf hingewiesen, dass heute jeder, wirklich jeder Mensch zu den schlimmsten Gräueltaten fähig ist. Und wenn so häufig die Rätselfrage gestellt wird, wie Menschen solch abgrundtief menschenverachtender Scheußlichkeiten, wie sie die Medien so oft berichten, fähig sein können, so ist die Frage eigentlich falsch gestellt. Wichtiger und erhellender wäre die Antwort auf die Frage, worum die große Mehrzahl der Menschen deratige Taten nicht begeht, obwohl sie ihrer fähig wären. Rudolf Steiner spricht es mit erschütternder Klarheit aus:

„Bei allen Menschen liegen im Unterbewußtsein seit dem Beginne der fünften nachatlantischen Periode die bösen Neigungen, die Neigungen zum Bösen. - Ja, gerade darinnen besteht das Eintreten des Menschen in die fünfte nachatlantische Periode, in die neuzeitliche Kulturperiode, daß er in sich aufnimmt die Neigungen zum Bösen. Radikal, aber sehr richtig gesprochen, kann folgendes zum Ausdrucke gebracht werden: Derjenige, der die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, der macht die folgende Erfahrung: Es gibt kein Verbrechen in der Welt, zu dem nicht jeder Mensch in seinem Unterbewußtsein, insofern er ein Angehöriger der fünften nachatlantischen Periode ist, die Neigung hat. Die Neigung hat; ob in dem einen oder in dem anderen Fall die Neigung zum Bösen äußerlich zu einer bösen Handlung führt, das hängt von ganz anderen Verhältnissen ab als von dieser Neigung.“ (Lit.:GA 185, S. 110)

Man kann diese Feststellung gar nicht gewichtig genug nehmen: Jeder Mensch hat heute in sich die Neigung zu grausamsten Verbrechen, die man sich nur vorstellen kann, ja die sogar unser Vorstellungsvermögen weit übersteigen mögen! Da sind all die luziferischen Verführungen zur Eitelkeit, zur Ruhmessucht, ja zur Sucht in jeder Form überhaupt, und vor allem ein unbändiger Egoismus, der ohnehin schon immer mehr zur geheimen Religion unserer Zeit wird. Da sind aber vor allem heute auch all die Grausamkeiten, hinter denen letztlich Ahriman steht: die Machtbesessenheit, die Lust zur Gewalt, zur Zerstörung, zum Töten und Quälen – und von hier ist es nur mehr ein kleiner Schritt bis zu den Anfängen der schwarzen Magie. Selbstverständlich gab es viele dieser Erscheinungen auch in früheren Zeiten in nicht gerade geringem Maß, aber doch unter ganz anderen Bedingungen. Der einzelne Mensch war damals im Grunde immer der Verführte, und seine Schuld lag darin, dass er sich mit zu geringer Kraft gegen die Widersachermächte wehrte. Vieles davon wirkt noch nach und viele gegenwärtige Erscheinungen können noch auf diese Weise gedeutet werden. Was aber heute ganz neu hinzukommt, ist, dass das einzelne Individuum nun selbst zur potentiellen Quelle des Bösen werden kann. Im einzelnen Individuum beginnt, noch ganz unterbewusst, der Wille zum Bösen zu erwachen. Wir stehen heute an jener Schwelle, an der die uns vorangegangenen geistigen Wesen standen, die auf früheren Verkörperungen unserer Erde ihre Menschheitsstufe, d.h. ihre Ich-Entwicklung, durchgemacht haben, aber ihr Entwicklungsziel nicht ganz erreichen konnten und dadurch zu Widersachermächten wurden. So sind auf dem alten Mond gewisse luziferische Widersacher entstanden, und noch früher, auf der alten Sonne, bestimmte ahrimanische Mächte. Heute besteht die Gefahr, dass der Mensch selbst zur Widersachermacht wird!

Tatsächlich beginnt jetzt erst die Zeit, wo der Mensch aus eigenem Antrieb wirklich böse werden kann. Das ist der Preis, den wir für die Freiheit notwendig zahlen müssen. Und es ist zugleich ein Anzeichen für das Eingreifen höherer Widersachermächte, durch die die Polarität von Luzifer und Ahriman und damit auch das Böse selbst eine ungeheure Steigerung erfährt - und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung! Diese Mächte sind die von Rudolf Steiner genannten Asuras. Sura (von "Surya", dem hinduistischen Sonnengott, der etwa dem griechischen Apollon entspricht) bedeutet im Sanskrit "Lichtwesen". Durch die Vorsilbe a- wird die Verneinung bzw. die Bezeichnung des Gegenteils ausgedrückt. Asuras sind somit "Gegner der Lichtwesen". Davon leitet sich auch der in der Apokalypse des Johannes genannte Sonnendämon «Sorat» oder Surat. Die Asuras wachsen in unserer gegenwärtigen Zeit zu gefährlichen Widersachermächten heran, die den Menschen zur schwarzen Magie verführen. Sexuelle Riten spielen dabei eine große Rolle und alle Arten gezielt eingesetzter physischer und seelischer Folter und Gewalt. Diese Kräfte spielten schon, wie Steiner betonte, eine wesentliche Rolle bei der Zerschlagung des Templerordens im 14. Jahrhundert. Die Asuras wirken unmittelbar bis in die Bewusstseinsseele des Menschen und greifen dadurch auch direkt als eine Art von Gegen-Ich das menschliche Ich an:

„Und in der Zeit, die jetzt kommen wird, werden sich hineinschleichen in diese Bewußtseinsseele und damit in das, was man das menschliche Ich nennt - denn das Ich geht auf in der Bewußtseinsseele -, diejenigen geistigen Wesenheiten, die man die Asuras nennt. Die Asuras werden mit einer viel intensiveren Kraft das Böse entwickeln als selbst die satanischen Mächte der atlantischen oder gar die luziferischen Geister der lemurischen Zeit.

Das Böse, das die luziferischen Geister den Menschen zugleich mit der Wohltat der Freiheit brachten, das werden sie alles im Verlaufe der Erdenzeit ganz abstreifen. Dasjenige Böse, das die ahrimanischen Geister gebracht haben, kann abgestreift werden in dem Ablauf der karmischen Gesetzmäßigkeit. Das Böse aber, das die asurischen Mächte bringen, ist nicht auf eine solche Weise zu sühnen. Haben die guten Geister dem Menschen Schmerzen und Leiden, Krankheit und Tod gegeben, damit er sich trotz der Möglichkeit des Bösen aufwärts entwickeln kann, haben die guten Geister die Möglichkeit des Karma gegenüber den ahrimanischen Mächten gegeben, um den Irrtum wieder auszugleichen - gegenüber den asurischen Geistern wird das im Verlaufe des Erdendaseins nicht so leicht sein. Denn diese asurischen Geister werden bewirken, daß das, was von ihnen ergriffen ist - und es ist ja des Menschen tiefstes Innerstes, die Bewußtseinsseele mit dem Ich -, daß das Ich sich vereinigt mit der Sinnlichkeit der Erde. Es wird Stück für Stück aus dem Ich herausgerissen werden, und in demselben Maße, wie sich die asurischen Geister in der Bewußtseinsseele festsetzen, in demselben Maße muß der Mensch auf der Erde zurücklassen Stücke seines Daseins. Das wird unwiederbringlich verloren sein, was den asurischen Mächten verfallen ist. Nicht, daß der ganze Mensch ihnen zu verfallen braucht, aber Stücke werden aus dem Geiste des Menschen herausgeschnitten durch die asurischen Mächte. Diese asurischen Mächte kündigen sich in unserem Zeitalter an durch den Geist, der da waltet und den wir nennen könnten den Geist des bloßen Lebens in der Sinnlichkeit und des Vergessens aller wirklichen geistigen Wesenheiten und geistigen Welten. Man könnte sagen: Heute ist es erst mehr theoretisch, daß die asurischen Mächte den Menschen verführen. Heute gaukeln sie ihm vielfach vor, daß sein Ich ein Ergebnis wäre der bloßen physischen Welt. Heute verführen sie ihn zu einer Art theoretischem Materialismus. Aber sie werden im weiteren Verlauf - und das kündigt sich immer mehr an durch die wüsten Leidenschaften der Sinnlichkeit, die immer mehr und mehr auf die Erde herniedersteigen - dem Menschen den Blick umdunkeln gegenüber den geistigen Wesenheiten und geistigen Mächten. Es wird der Mensch nichts wissen und nichts wissen wollen von einer geistigen Welt. Er wird immer mehr und mehr nicht nur lehren, daß die höchsten sittlichen Ideen des Menschen nur höhere Ausgestaltungen der tierischen Triebe sind, er wird nicht nur lehren, daß das menschliche Denken nur eine Umwandlung dessen ist, was auch das Tier hat, er wird nicht nur lehren, daß der Mensch nicht bloß seiner Gestalt nach mit dem Tier verwandt ist, daß er auch seiner ganzen Wesenheit nach vom Tier abstamme, sondern der Mensch wird mit dieser Anschauung Ernst machen und so leben.“ (Lit.:GA 107, S. 247ff)

Wenn dennoch nicht jeder ein Kapitalverbrechen begeht, so liegt das weniger an den überragenden moralischen Kräften, die wir bereits unserer kleinen irdischen Persönlichkeit einverleibt haben, sondern es ist die weise Führung der unser Schicksals im Verein mit unserem höheren Selbst leitenden Mächte, die uns davor bewahren. Geistig strebende Menschen, selbst Eingeweihte, sind besonders gefährdet, denn ihre raschere Entwicklung bedingt, dass sie sich schneller und öfter bewähren müssen – und dabei auch scheitern können.

Unser gegenwärtiges Bewusstseinsseelenzeitalter hat viele Veränderungen gebracht. Die Menschen sind, verglichen mit früheren Zeiten, viel individueller, aber auch egoistischer geworden, wobei diesbezüglich in den letzten drei oder vier Jahrzehnten ein deutlicher zusätzlicher Entwicklungsschub zu bemerken ist. Dem trägt der Rosenkreuzer-Schulungsweg Rechnung, auf dem auch die anthroposophische Geistesschulung aufbaut. In seinen grundlegenden Schriften und Vorträgen, etwa in der «Theosophie», in «Die Geheimwissenschaft im Umriß» und in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» konnte Steiner diesen Weg zunächst nur ganz allgemein zeichnen. Solche allgemeinen Regeln sind notwendig und können hilfreich sein, reichen aber nicht aus um eine wirkliche geistige Entwicklung anzustoßen. Spezifischere, aber darum auch weniger allgemein verbindliche Schilderungen gab Steiner in «Die Schwelle der geistigen Welt» und in «Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen». In ganz individueller und darum auch besonders konkreter, lebendiger und höchst dramatischer Form wird exemplarisch der Weg einzelner Geistesschüler in Rudolf Steiners Mysteriendramen gezeichnet.

„Keine Seele ist in derselben Lage wie die andere. Daher ist im Grunde genommen auch der Weg in die übersinnlichen Welten hinauf für jede Seele ein individueller, ein solcher, welcher sich je nach der betreffenden Seele beim Ausgangspunkt richtet. Man kann nicht sagen, wenn man im richtigen Sinne sprechen will: so muß nach einem normalen Prinzip unmittelbar jede Seele den Aufstieg in die höheren Welten, die Initiation, durchmachen. Daher das Bedürfnis, nicht nur in kurzen Broschüren oder dergleichen - was ja leichter wäre - Anweisungen zu geben: so und so soll es die Seele machen, um den Glauben zu erwecken, man könne, wenn man solche Regeln befolgt, unter allen Umständen in der gleichen Art wie jede andere Seele in die höheren Welten hinaufsteigen. Daher das Mißliche solcher Dinge. Deshalb namentlich habe ich versucht, in dem Büchelchen «Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen» etwas zu zeigen, was individuell ist und doch einer jeden Seele nützlich sein kann. Aber deshalb ergab sich auch die Notwendigkeit, die Mannigfaltigkeit und die Variabilität des Initiationsweges zu zeigen. Und ohne selbst etwa irgendwie Erklärungen liefern zu wollen über das, was getan worden ist, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, wie sich die Notwendigkeiten zu den drei Gestalten ergeben, welche in den drei Mysterienversuchen - «Die Pforte der Einweihung», «Die Prüfung der Seele» und «Der Hüter der Schwelle» - vor Ihre Seele hintreten als Johannes Thomasius, Capesius und Strader. Sie zeigen Ihnen den Weg der ersten Schritte zur Initiation gleichsam in drei verschiedenen Aspekten. Man kann von keinem dieser Wege sagen, daß er besser oder schlechter sei als der Weg des anderen; sondern man muß von jedem dieser Wege sagen, daß er sich ergeben mußte je nach dem Karma der betreffenden Individualitäten. Man kann nur sagen: eine Seele, welche so ist wie Johannes Thomasius, oder welche so ist wie Capesius, muß eben solche Wege gehen, wie sie versucht worden sind, nicht in Theorien, nicht lehrhaft, sondern in Gestalten zu zeigen. Daher das Bedürfnis, solche Gestalten zu zeigen. Und immer notwendiger und notwendiger wird es werden, hinwegzuführen von dem Glauben, daß man mit ein paar Regeln in diesen Dingen auskomme, immer notwendiger wird es sein, gerade auf spirituellem Gebiete von dem Lehrhaften auf das Gestaltete hinzuweisen. Weil die Beziehungen der Welten so mannigfaltige sind, deshalb müssen auch die Wege der einzelnen Individualitäten so mannigfaltige sein. Wenn man aber erst dazu kommt, gewisse Individualitäten oder Wesenheiten der höheren Welten ernsthaft ins Auge zu fassen und deren Anteil an dem Menschen zu prüfen, dann muß man erst recht die Notwendigkeit fühlen, diese Gestalten lebendig zu zeigen, sie in ihrer Mannigfaltigkeit hinzustellen, nicht bloß Definitionen von ihnen zu geben. In unserer Zeit ist es insbesondere für diejenigen, die spirituelle Erkenntnis anstreben, wichtig, solche Gestalten wie Luzifer und Ahriman, denen man auf dem Wege zur Initiation ja immer begegnet, einmal gerade in ihrer Vielartigkeit, in ihrer Variabilität ins Auge zu fassen. Dann wird sich zeigen, wie merkwürdig die Beziehungen und Verkettungen der einen Welt mit der anderen sind." (Lit.: GA 138, S 105f)

Eines aber haben alle geistigen Schulungswege gemeinsam: Sie dienen und dienten niemals der bloßen geistigen Erbauung und der Befriedigung spiritueller Sehnsüchte, auch nicht der weltentrückten Verehrung der göttlichen Welt, sondern sie fordern eine durchgreifende Verwandlung des Menschen, die notwendig auch durch höchst dramatische existentielle Krisen führt, ihn aber letzlich tüchtiger macht, die praktischen Aufgaben des Alltagslebens zu bewältigen. Verwandlung des Menschen bedeutet in diesem Sinn auch immer zugleich Verwandlung der Erde. Geistige Entwicklung ist nichts Theoretisch-Beschauliches, vom Leben Abgesondertes, sondern pure Lebenspraxis - und nur an diesen ihren Früchten im realen irdischen Leben kann sie gemessen werden.

Es kann keine spirituelle Erkenntnis geben, die nicht einfließen würde in das werktätige Leben.“ (Lit.:GA 99, S. 18)

In vergangenen Zeit blieb die Teilnahme an den Mysterien allerdings wenigen Auserwählten vorbehalten. Sie wirkten im Verborgenen und strenge Geheimhaltung war oberste Pflicht. Man hielt es für gefährlich, das Wissen und die Macht zur Umgestaltung der Erde in die Hände unreifer Menschen zu legen und Geheimnisverrat wurde mit dem Tode bestraft. Das war damals auch gerechtfertigt, denn gerade unreife, wenig entwickelte Menschen verfügten damals noch über gewisse atavistische geistige Fähigkeiten, die, verbunden mit dem Mysterienwissen, großes Unheil anrichten hätten können. Manche halten auch heute noch an diesen Prinzipien fest, aber sie sind nicht mehr zeitgemäß. Die alten, instinktiven Kräfte sind versiegt und die Weisheit der Mysterien vermag heute nur zu nutzen, der sich einen entsprechenden Reifegrad erarbeitet hat. Die Geistesweisheiten können heute nicht mehr verraten werden, selbst wenn man sie ganz öffentlich ausspricht. Wer unreif ist, wird sie nicht verstehen und vielleicht auch belächeln, aber nützen kann er sie nicht. Gefahr entsteht nur dann, wenn eine enge, abgeschlossene Gruppe «geheimes» Wissen pflegt und zu gruppenegoistischen Zwecken missbraucht. Die heutigen Mysterien müssen mitten im Leben und im vollen Licht der Öffentlichkeit stehen und sie bedürfen auch keines abgesonderten, verborgenen Tempels mehr. Wie in schon in Goethes Märchen angedeutet, ist der verborgene Felsentempel zu dem grundsätzlich allen zugänglichen Sonnentempel aufgestiegen. Er ist an keinen besonderen Ort gebunden, sondern überall dort zu finden, wo sich eine frei gebildete, aber karmisch verbundene Gemeinschaft von Menschen zu einem gemeinsamen geistigen Streben zusammenfindet. Diese Gesinnung lebt auch in dem Rosenkreuzer-Bund, der in «Der Hüter der Schwelle» gezeigt wird. Zwölf noch ungeweihte Personen, die Wiederverkörperungen der 12 Bauern und Bäuerinnen aus «Die Prüfung der Seele» sind, sollen daher ihre Kräfte mit denen des von Hilarius Gottgetreu geleiteten Mystenbundes vereinen. Hilarius ist dabei als die Reinkarnation des Großmeisters des mystischen Ritterbundes aus «Die Prüfung der Seele» gedacht.

Dieses Prinzip, die Mysterien mitten im Leben zu verwirklichen, wird in Steiners Dramen nicht nur dargestellt, sondern es lebt in ihnen als wirksame impulsierende Kraft. Abstrakte Schemata des Erkenntnispfades wird man darin vergebens suchen. Die vier Mysteriendramen zeigen nicht nur exemplarisch und konkret den Schulungsweg, sondern sie sind, vor allem wenn man sich tätig eigenständig gestaltend in sie einlebt, selbst ein für jeden gangbarer, zeitgemäßer und lebenspraktischer menschlicher Schulungsweg, der den individuellen Bedürfnissen und Erfordernissen ausreichend Freiraum lässt und doch zugleich eine verlässliche geistige Orientierungshilfe bietet. Die Dramen sind auch in diesem Sinn nichts fertig Vollendetes, was Steiner ja immer wieder betont hat, sondern sie laden dazu ein, durch die Darsteller und das Publikum im unmittelbaren Darstellen und im aktiven Miterleben des Dargestellten frei und individuell, aber keineswegs willkürlich, immer wieder neu fortgestaltet zu werden und dadurch zugleich an der eigenen Entwicklung zu arbeiten. Der Text selbst, wenn man sich unbefangen und ohne klügelnden Verstand auf ihn einlässt, liefert die dazu nötige, ganz konkrete Inspirationsquelle, die verhindert, dass man sich dabei in wesenlosen Phantasmen verliert.

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